«Es gibt keinen Weg zum Frieden. Der Frieden ist der Weg.»
«Auge um Auge endet nur damit, dass die ganze Welt blind geworden ist.»
«Gott hat keine Religion.»
Mahatma Gandhi
Hadern um die Erweiterung der Kulturevolution

Ich finde es wichtig zu verstehen, warum das so ist: Wir hadern um die kulturelle, geistige Evolution 2.0, die neue und komplexere Gesetze fordert, weil es nicht mehr nur einen schlichten Hauptparameter gibt: Überleben oder sterben. Aber genau nach diesem Gesetz entwickeln wir auch unsere Kulturen und Gesellschaften – das ist wahrscheinlich sinnvoll im Kontext von Jägern und Sammlern, aber wie soll eine Zivilisation ohne «wenn, aber, oder, vielleicht» funktionieren, nur mit «ja/nein»? Die Evolution des Geistes braucht mehr Operanden! Mit einem Fussball-Stadion lässt sich das gut zeigen. Und es ist ein guter Titel. 🙂
Wie Evolution funktioniert
Die Funktion der Evolution unseres Bio- oder Genroboters, des Reproduktionsautomaten, ist in der Art simpel: Erst gewinnt die reine Masse, also Grösse; danach gewinnt die Kraft, also das Verhältnis von Masse/Energie; danach die Anzahl Individuen einer Gruppe, also die Grösse des Schwarms. Will heissen: Das stärkste Tier ist die Ameise; das zweitstärkste der Spinosaurus (T-Rex war gestern); Elefant und Blauwal sind (heute) die drittstärksten. Wer schwächer ist, ist früher Nahrung, alle anderen später. Der Kreislauf der Nährstoffe, in welchem sich DNA vervielfältigt und evolviert.
Diese Funktion, diese Gesetzmässigkeit, ist ähnlich perfekt wie unser moderner Finanzkapitalismus, dessen lineare Wachstumsnatur wir schnell mal ausser Acht lassen wollen: So lange alles in gemässigtem Tempo voran schreitet, mag sich ein labiles Gleichgewicht unzähliger Faktoren und Summanden halten. Treten ausserordentlich heftige Einflüsse auf – zum Beispiel Katastrophen, die das Sterben beschleunigen oder ein plötzlicher Überfluss an Nahrung beschleunigt Wachstum – gerät das System aus dem Gleichgewicht, bricht mehr oder weniger komplett zusammen und durchläuft einen entsprechenden Neustart. In den Finanzkrisen lassen wir diesen Neustart nicht zu (der freie Markt widerspricht sich in seinem Kern), weshalb sich das (oder mit etwas gutem Willen: ein anderes) System nicht neu erfinden kann.

Was auch sehr angenehme Seiten hat: Ein kultureller oder ökonomischer Neustart einer Gesellschaft geht in der Regel einher mit erheblichem Verlust an Wissen, Können und Haben; Machtvakua werden gefüllt von Feudalherren mit ihren Hahnenkriegen und von anderen Kleinganoven; das Dunkle Mittelalter oder die Zeit nach dem Untergang der Majas sind gute Beispiele. Oder es sterben wie vor 252 Millionen Jahren 90 Prozent aller Arten aus. Das ist nicht lustig (Lesetipp 1, Lesetipp 2), zeigt aber, wie unsere Kulturevolution bis heute den Gesetzen der DNA-Roboter folgt. Das muss nicht zwangsläufig so sein, meine ich.
Die Krux
Je grösser die Statue, je prunkvoller der Tempel, je höher der Kirchturm – das Macht eine Kultur attraktiv und die hierarchische Elite reich. Ich meine, das liegt zwar an der vom ja/nein-Selbstkopierer geerbten Natur unserer kulturellen Evolution, aber im Gegensatz zur biologischen hätten wir die Wahl, unserer geistigen und kulturellen Evolution ein paar weitere Operanden zu stiften. Zum Beispiel indem man die Kunst des Denkens lehrt – kultiviertes Bewusstsein – anstelle von Ismen und Fetischen in absolutistischen Formen. Exakt daran scheitern die Lebensschulen (also Heilige Bücher und entsprechendes) seit Jahrtausenden. Wie sagte Henry Ford: «Die anstrengendste aller Tätigkeiten ist das Denken, weshalb es auch nur wenige tun.»
Die Gruppenfunktion bei Menschen
Lange fragte ich mich, wie das funktioniert, wenn eine Gruppe Menschen einem Wahn verfällt und ihren kollektiven Fetisch für das alleinig einzig heilbringende hält. So sehr, dass sie bereit ist, zu foltern und zu töten, zu vergewaltigen. Ich vermute, es wirkt eine Kombination aus Prägung unseres Roboters und der Funktion «Heiliger Geist», «Atman», «Qi», oder welches Wort man auch immer bevorzugt. Feinstoff mag ich nicht so, denn das hat nichts mit Stoff zu tun.

Eine gute geistige Konditionierung durch PR, oder am Besten durch die Eltern, sorgt dafür, dass bestimmte Symbole, Melodien oder Worte antrainierte Effekte auslösen. So, als Beispiel, dass man die Allgegenwärtigkeit eines wirklich grossen Helden, der aber elendiglich an einem Kreuz fest genagelt verreckt, für eine kluge Strategie hält, Menschen Wahrheit und Freiheit zu symbolisieren. Sogar ein Hochkreuz mit verlängertem Stamm, das als Symbol schwächende Wirkung hat – im Gegensatz zum gleichschenkligen Tatzenkreuz der Templer. Sie wussten warum – jeder geneigte Leser möge einen kinesiologischen Selbstversuch mit den beiden Symbolen unternehmen, welches schwächend wirkt. Oder die Tatsache, dass die Erde Mutter ist, sie aber männlich wird, sobald Mann Grenzen gezogen hat. Oder die Tragödie, dass man ein Gewehr als Symbol für Freiheit und/oder Stärke interpretiert.
Quantensprung einer Menschengruppe
Dies führt nun zum wirklich interessanten Teil: Wie kann es sein, dass sich ein Kollektiv im Zusammenhalt bestärkt, indem es etwas vollbringt, was keiner der einzelnen Teilnehmer alleine je tun würde? Nur die allerwenigsten einzelnen von uns kämen auf nur schon auf die Phantasien, was man alles Widerwärtiges tun könnte, das Kollektive tatsächlich auch tun. Oder nicht? Gruppierungen fanatischer im allgemeinen sind gute Beispiele – ob sie nun Köpfe rollen lassen oder Rubel; Gewaltkulte wie die Mafia, die Wikinger, gewisse Nomadenkulturen – ob sie nun dem Mammon dienen oder dem Mumm; spirituelle Kulte mit ihren Expansionkriegen oder Opferritualen – ob sie nun tausenden Lebenden die Herzen heraus schneiden oder oder ihre Denksysteme.

Etwas makaber, diesen Vergleich zu ziehen, aber er zeigt, wie das Gesamte mehr werden kann wie die Summe der Teile. Ein Quantensprung geschieht, ausgelöst dadurch, dass sich Menschen in einem System mystisch verbinden. Der Heilige Geist kommt nun nicht nur gerne an einen Gottesdienst oder an eine tolle Session, er taucht genauso regelmässig in Fussballstadien auf; auch wenn Alphas Hass- oder Motivationsreden halten; oder bei Heilern; bei Hellsehern; auf dem Schlachtfeld im Blutrausch; an Katastrophen wenn Menschen helfen – überall wo man sich gemeinsam geistig und endlich emotional verbindet, sich gleich schaltet; wird der Gottesschalter betätigt. So finden Revolutionen statt, so stehen 300 Spartaner (die etwa 6000 waren) gegen zehntausende Perser, so geschehen Wunder und Heil.
Wenn der Wille nicht schwimmen kann
Wieso aber verliert der einzelne in der gleichgeschalteten Masse die Kontrolle über seinen Willen? Es ist ganz einfach: Wer nicht lernt, im Heiligen Geist zu schwimmen, ertrinkt in ihm. Das ist nicht böse gemeint: Wasser ist nicht gemein, weil ein Schwimmer darin ertrinkt. Ein gut geübter und trainierter Schwimmer kann locker den Ärmelkanal durchqueren (na ja, das Wasser teilen und spazieren), während ein Nichtschwimmer schnell mal seiner eigenen Schwester die Kehle durch scheidet, weil sie nein sagte. Und er ist tatsächlich im Herzen überzeugt, richtig zu handeln. Das ist kein «falscher» Glaube, nicht böse, das ist uniforme Prägung des Geistes, angetrieben durch den Heiligen, der selbst weder gut noch böse ist. Weil er einfach funktioniert, wenn Menschen den Hebel betätigen.

Es ist offensichtlich – da auch gescheite schlitzen, oder einen Meteoriten anbeten – dass das pragmatischste, logischste, weiseste Denksystem nicht gegen diese Gottesfunktion ankommt, die wirkt, wenn Menschen zusammen fanatieren. Jeder, der auf heilige, kultivierte Weise diese Kraft des «Spirits», oder auf archaische Weise die der «Engel», «Dämonen», «Elfen» erlebt hat, weiss, dass das ganz schön heftig sein kann – da ist eine Fünf schon mal gerade, wenn der Ratio überfordert ist. Der Quell von Aberglaube.
Ich meine, dass die in die Kunst des Denkens eingebettete Sprache der Mathematik die beste Grundlage für Kommunikation ist, weil sie ist die Grundlage unseres Kosmos. Und diese Kunst verlangt nach der Erkenntnis, dass unsere Wissenschaften – wozu systemisch betrachtet auch Religionen gehören – noch in den Kinderschuhen stecken. Der Kosmos besteht im heutigen Standardmodell aus vier Prozent Materie, die wir gerade mal ein wenig verstehen – und der Rest, 96 Prozent? Alles Wunder? Das war Materie auch einmal…
Der Teufelskreis

Man könnte also sagen, dass ein in der Kunst des Denkens geschulter Geist und ein Schwimmen könnendes Herz die Voraussetzungen sind, um sich nicht hinter einem Rattenfänger zum Joggeli machen zu müssen. Ersteres alleine führt zur Konstruktion phantastischer Vernichtungsmaschinen, zweiteres isoliert zu Bildern von grünen Ameisen, die träumen, wie der Zahn eines gähnenden Nilpferds das Nichts zertrümmert, woraus ein dann Greis in ein paar Tagen sich selbst kopiert, ohne sich zu vervielfältigen. Jedenfalls war – damals zumindest – seine Lieblingsfarbe grün. In einem solchen Kontext eine der wenigen Annahmen, die ich als gesichert annehmen würde. Heute weiss man ja, was Chlorophyll ist und auch, warum es grün erscheint.
Der Teufelskreis ist, dass der Mensch, solange er nur Roboter ist, seine Beschränktheit nicht erkennen kann, so wenig wie eine Comicfigur seinen Zeichner: Einem zweidimensionalen Wesen ist es schlicht unmöglich, in die dritte Dimension zu sehen. Der Mensch kann nicht aushalten, dass des Ratio Erklärungswege dafür, was das Auge sieht, eben nur Möglichkeiten sind. Roboter Mickey Mouse kann über Mister Disney nur spekulieren – wissen ist ihm systemisch unmöglich. Unsere Primatenkultur ist veranlagt, eine einzige Wahrheit anzunehmen, einem einzigen Anführer zu folgen, einen Dorftrottel zu bashen, einen definierten Rang zu haben – alles für den inneren Zusammenhalt der Herde. Weil wir exakt das selbe Erfolgskonzept der DNA über unsere Kultur stülpen und aus systemimmanenten Gründen nicht erkennen können, dass die vermeintliche Realität mehr umfasst wie das Papier, auf das wir gezeichnet sind, kommen wir, abgesehen von leider nicht massgebenden Subkulturen, nicht über die Kunst des Tötens hinaus. Das ist unser Biologisches Erbe.
Das neue, ultimative Dogma
Nur so lässt sich erklären, wieso man sich wegen territorial gebildeten Mannschaften im erklärten Wettstreit an die Kehle geht. Das Territorium muss dabei nicht mal geografisch sein. Die gemeinsame, überbordende Begeisterung, der Wahnzustand des Heiligen Geistes, ist nichts weiter als ein Mittel der Soziokultur. Dieses Verhalten findet statt, ob die Ressourcen knapp sind oder nicht, wie die moderne Primatenforschung nahe legt.

Ist das nicht peinlich für ein Wesen, das meint, sich selbst zu erkennen? Schlussendlich muss ich sagen, dass ich nicht weiss, was Gott im Fussball-Stadion macht, auch wenn ich sehe, was er tut. Vielleicht sollten wir nicht nur die Geldwechsler aus dem Tempel vertreiben, sondern auch die Spieler aus den Stadien. Weil ohne Mannschaften gehen die gelangweilten Zuschauer nach Hause und die, die bleiben, können eine schöne Party feiern und zusammen in Ruhe schwimmen lernen.
Kunst und Kultur, globales Zusammenleben erfordern bewusste Selbstkultivierung und Schwimmunterricht, weil eine Welt voll Primaten-Joggelis mit Atombomben und hoch industriellen Fischfangflotten einfach nicht funktionieren kann. Wenn der Heilige Geist ein Pferd wäre, ginge es darum, sich nicht einfach am Schwanz festzukrallen und die Peitsche zu knallen, sondern reiten zu lernen. Reiten, während man mit einer Hand klatscht, mit dem Auge guckt, das nicht blinzelt und denkt, was nicht gesagt werden kann.
Um unsere Betriebsblindheit zu überwinden reicht kultiviertes Denken und ein bisschen Glaube, dass da etwas ist, das man schlicht noch nicht sehen kann. Das reicht absolut – jeder ein Schelm, der was anderes behauptet.